Im Jahr 2002 wurde von der Bundesregierung die ‚nationale Nachhaltigkeitsstrategie‘ beschlossen. Unter dem Titel ‚Perspektiven für Deutschland‘ wurden konkrete Aufgaben und Ziele definiert, um in allen Ebenen der Gesellschaft nachhaltiges Wirtschaften zu etablieren. Nachhaltigkeit bedeutet, einem System nicht mehr Ressourcen zu entziehen, als auch wieder regeneriert werden. Die Anwendung nachhaltiger Prinzipien ist notwendig, um der heutigen und künftigen Generationen eine hohe Lebensqualität zu gewährleisten.
Alle 4 Jahre zieht die Bundesregierung Bilanz. In Fortschrittsberichten informiert sie über die fortlaufende Entwicklung von Strategien und Maßnahmen. Diese umfassen alle relevanten gesellschaftlichen Bereiche wie Finanzpolitik, Mobilität, Konsum, Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen, Soziales und Forschung.
Der Forschung kommt dabei eine herausgehobene Stellung zu. Neue Forschungsinitiativen zu Nachhaltigkeitsfragen sollen nicht nur Lösungsansätze zu globalen Herausforderungen wie Klimawandel, Energie- und Rohstoffknappheit sowie zur Übernutzung natürlicher Ressourcen liefern. Sie sollen gleichzeitig durch neue Technologien und Verbreitung von Innovationen die Zukunftsfähigkeit des Landes sicherstellen.
Als ‚Zukunftsprojekte‘ hat die Bundesregierung Themenfelder definiert, die im Zentrum künftiger Forschungspolitik stehen. Eines dieser Themenfelder beschreibt die Verwendung nachwachsender Rohstoffe als Alternative zum Öl.
Diesem Zukunftsprojekt hat sich das Institut für Textilchemie und Chemiefasern Denkendorf in mehreren Forschungsbereichen angenommen. Exemplarisch wird an einzelnen Projekten gezeigt, wie Forschung gleich doppelten Nutzen erfüllen kann: Der Einsatz neuer, natürlicher Rohstoffe geht einher mit Entwicklung neuer Verfahren und Anlagen.
Chitin –und Chitosanbeschichtungen aus ionischen Flüssigkeiten
Chitin ist ein nachwachsender Rohstoff und weltweit das zweithäufigste Biopolymer. Rund 40.000 Tonnen Chitin fallen jährlich weltweit als Abfallprodukt in der Krabbenfischerei an. Chitin und insbesondere das daraus abgeleitete Chitosan werden schon seit vielen Jahren in etlichen industriellen Bereichen eingesetzt: Deren Verwendung in der Lebensmittelindustrie, der Pharmazeutik, als Düngemittel oder ihr Einsatz zur Klärung von Abwässern stellen nur einige Beispiele dar.
Die unzureichende Löslichkeit namentlich des Chitins erschwert bisher seine Verwendung in textilen Produkten. Mit Hilfe der verhältnismäßig neuen Stoffgruppe der ionischen Flüssigkeiten wurden am ITCF Denkendorf neue Möglichkeiten der technischen Verarbeitung von Chitin geschaffen. Ergebnis sind transparente, flexible und rein biologische Folien, die als textile Beschichtungen Verwendung finden. Durch geeignete Koagulationsprozesse können die Strukturen und Eigenschaften dieser Folien gezielt beeinflusst werden. Sie stellen erstmals eine rein biologische und nachhaltige Alternative zu den etablierten Beschichtungen aus meist erdölbasierten Kunststoffen dar.
C-Fasern aus neuen Materialien
Die Entwicklung von Carbonfasern ist seit über 10 Jahren Forschungsschwerpunkt am ITCF. Neben der Verbesserung physikalischer Kennwerte und der wirtschaftlichen Optimierung des Herstellungsprozesses steht auch in diesem Forschungsbereich die Nachhaltigkeit im Fokus: Während im industriellen Maßstab bisher die Verwendung von Polyacrylnitril (PAN) im Vordergrund steht, sind in den letzten Jahren auch alternative Ausgangsstoffe in Betracht gezogen worden.
Am ITCF wurde so im Rahmen umfangreicher Studien- und Forschungsarbeiten der Einsatz von Lignin untersucht. Dieser rein pflanzliche Stoff gehört zu den häufigsten organischen Verbindungen. Lignin in ein verspinnbares Polymer umzuformen, erste Fasern daraus zu spinnen und Carbonfasern hieraus herzustellen, das ist bereits gelungen. Die Optimierung dieser Faser wird in weiteren Forschungsprojekten angegangen. Technische Hochleistungsfasern mit besonderen Eigenschaften aus nachwachsenden Rohstoffen zu fertigen ist Vorgabe dieser Projekte.
Garne und Textilien aus Biopolymeren
Polymilchsäuren (PLA) sind synthetische Polymere, die vollständig biologisch abbaubar sind. Die Milchsäure als Ausgangsprodukt dieser Kunststoffe kann biotechnologisch über Fermentation von Kohlenhydraten (Zucker, Stärke) oder synthetisch auf Grundlage petrochemischer Rohstoffe erfolgen. Produkte aus PLA können also in einem geschlossenen biologischen Recycling-Zyklus dargestellt werden. Für die technische Weiterverarbeitung von PLA kann es ‚compoundiert‘, also durch Zuschlagstoffe aufbereitet werden. Durch diese Aufbereitung erhält man PLA-Blends – Kunststoffe, die für spezifische Anwendungen maßgeschneidert sind.
Eine spezielle Compoundierung stellte am ITCF Denkendorf einen ersten Schritt zur Herstellung biologisch abbaubarer Agrotextilien dar. Der modifizierte Rohstoff sollte im Schmelzspinnverfahren gut zu Fasern ausspinnbar sein und weitere optimierte Eigenschaften wie z.B. im Kristallisationsverhalten zeigen. In einem zweiten Schritt konnte der Extrusions- und Wickelprozess optimiert werden. Als Ergebnis erhielt man ein lagerstabiles und gut weiterzuverarbeitendes Garn. Dieses konnte zunächst als Prototyp zu einem flächigen Textil verarbeitet werden und wird inzwischen über einen Industriepartner für den kommerziellen Einsatz produziert.
Dieses sind nur einige Beispiele aus dem breiten Forschungsspektrum des ITCF Denkendorf, die zeigen, daß der Schutz der Ressourcen nicht nur gute Absichtserklärung der Regierung ist. Die Intention wird bereits umgesetzt – in der Forschung, der Wirtschaft und in der Mitte der Gesellschaft.
Denkendorf, 16.06.2015