Smart leben mit Smart Textiles: Schlafapnoe und Vorhofflimmern rechtzeitig erkennen und behandeln. Atmung und Mikrozirkulation optimieren. Muskelaktivität analysieren und anregen. Perfekt sitzen und stehen. Smart heizen, ausleuchten und bauen. Das waren die Themen des Anwenderforums SMART TEXTILES am 15. und 16. März 2023 im Switzerland Innovation Park Ost in St. Gallen. Am ersten Veranstaltungstag öffnete die Empa ihre Labore und Technika und bot Einblick in ihre Forschung. Das Schweizer Materialforschungsinstitut verbindet anwendungsorientierte Forschung mit der praktischen Umsetzung neuer Ideen in den Bereichen nanostrukturierte Materialien, Umwelt-, Energie- und nachhaltige Gebäudetechnologien - sowie Biotechnologie und Medizintechnik.
Wenn Textilien mit elektronischen Bausteinen, leitfähigen Garnen und winzigen Sensoren ausgestattet werden, sind die Anwendungsmöglichkeiten fast unbegrenzt. Diese Hightech-Textilien sind ein weltweiter Wachstumsmarkt. In St. Gallen präsentierten Hersteller und Anwender verblüffende Beispiele.
Leben erleichtern und Leben retten
In westlichen Ländern stockt jedem Vierten während des Schlafs der Atem. Schlafapnoe gefährdet das Herz-Kreislauf-System und das Gehirn. Die Diagnose im Schlaflabor ist aufwendig und die Kapazitäten sind begrenzt. Mit intelligenten Textilien lässt sich der Schlaf der Patientinnen und Patienten im gewohnten Umfeld zu Hause überwachen und während einer anschließenden Therapie begleiten. Die Empa entwickelt dafür faserbasierte Sensorik für die Langzeitmessung von Körpersignalen. Der Erfolg der Behandlung hängt auch davon ab, ob das Textil angenehm zu tragen ist, betont Dr. Simon Annaheim. „Ein Pulli, der kratzt, bleibt auch im Schrank liegen“.
Wie Schlafapnoe birgt auch das Vorhofflimmern Gefahr für die Gesundheit. Das Schlaganfallrisiko ist bei dieser Herzrhythmusstörung um drei- bis fünffach erhöht. Eine EKG Langzeitaufzeichnung per smartem Textil macht eine aufwendige Verkabelung überflüssig und ist angenehm zu tragen. 24sens hat dazu in 2020 das Projekt smartcorCONTROL gestartet.
Die richtige Atmung kann den Blutdruck senken, Stress abbauen und damit das Wohlbefinden und die Gesundheit fördern. Nanoleq stattet dafür ein T-Shirt mit einem Atemtrainer aus, der sich per Knopfdruck auf den Stoff aktiviert. Eine Smartphone-App begleitet durch verschiedene Übungen, die entspannend oder anregend wirken.
Mikrozirkulation bedeutet den Zu- und Abtransport von Nährstoffen in den Zellen. BEMER hat Textilapplikatoren entwickelt, die diese Durchblutung in den kleinsten Blutgefäßen verbessert. Das funktioniert bei Mensch und Tier. Bei Pferden wird eine smarte Decke sogar bei Operationen eingesetzt. Durch die optimale Versorgung der Zellen mit dem Wirkstoff kann das Narkosemedikament niedriger dosiert werden. Das verringert die Gefahr, dass das Pferd nach dem Aufwachen beim Aufstehen stürzt und sich verletzt.
Weitere Entwicklungen, die in St. Gallen vorgestellt wurden, sind Stühle, die mit Sensorik ausgestattet sind. Die smarte textile Auflage schützt nicht nur Personen im Rollstuhl vor Dekubitus, sondern optimiert mit seinen Feedback-Funktionen das Sitzverhalten am Arbeitsplatz. Bei sitzenden Tätigkeiten steigern intelligente Büromöbel Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden. Dass Gesundheitsvorsorge auch Spaß machen kann, zeigt der Beckenbodentrainer des gleichen Herstellers. „Gamification“ ist das Stichwort. Mit der Muskelkraft wird ein Videospiel gesteuert, das zum Training motiviert.
Die Messung von Muskelaktivität stellt Smarte Textilien allerdings noch vor Herausforderungen, die nur mit interdisziplinärer Zusammenarbeit gemeistert werden könnten. Das Messen von EMG-Signalen sei relativ einfach, jedoch bestehen mit der richtigen Interpretation der Signale große Schwierigkeiten, da sie eine Überlagerung von vielen individuellen biologischen Prozessen darstellen, erläuterte Marius Neugschwender von Noxon.
Das Feld der Gesundheitstechnologie wächst schnell und bietet für Smarte Textilien viele Anwendungsmöglichkeiten. Viele Unternehmen aus der Textilindustrie interessieren sich deshalb dafür, in diesen Markt einzusteigen. José Näf von der Nahtlos AG erklärte, wie der Einstieg in diese stark regulierte Branche gelingen kann. Die Firma vermarktet seit einigen Jahren erfolgreich eine EKG-Sensortechnologie, die bei der Empa, dem Gastgeber des diesjährigen Anwenderforums, entwickelt wurde.
Optimales Licht, smartes Heizen und intelligentes klimafreundliches Bauen
Forster Rohner Textile Innovations stellte Leuchten vor, die gefaltet und drapiert werden können und extrem leicht sind und vielfältig eingesetzt werden können. Am Filmset sorgen sie für die optimale und zielgenaue Ausleuchtung, ohne dass sperrige Scheinwerfer transportiert werden müssen und im Weg stehen. Bei Militär- und Polizeieinsätzen kann das Textil im Zelt genau dort hingeklebt und wieder entfernt werden, wo man gerade das Licht braucht. Selbst medizinische Eingriffe im Katastrophenfall werden dabei bei Nacht oder in der Dämmerung möglich. Wie robust diese leuchtenden Tücher sind, zeigte Julia Fleischer, indem sie es vor dem Publikum zu einem kleinen Ball knüllte und wieder auseinanderfaltete.
„PowerHeat“ nennt die Firma Sefar ein Heizgewebe, das sich flexibel an schwierige Bedingungen an alle Prozesse und Bedürfnisse anpasst Dazu wurde ein Heizgarn entwickelt, das sich selbst reguliert und Energie spart.
Werden beim textilen Heizen Induktionsspulen verwendet, muss die Wärme nicht durch eine Wärmeleitung übertragen werden. Die sogenannte FlexIn Heat © Technologie der Stuttgarter Firma msquare kann auch gekrümmte und komplexe Oberflächen beheizen.
Smart Textiles werden immer beliebter. Da die Bauteile immer kleiner werden, kann intelligente Elektronik in Textilien eingebracht werden, ohne dass die Vorteile des Materials verloren gehen wie Waschbarkeit, Drapierbarkeit und geringes Gewicht. Um Elektronik und Textil optimal zu verbinden, hat das Fraunhofer Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration das E-Textile Bonding entwickelt. Speziell an das Textil-Bond-Verfahren angepasste Leiterplatten sorgen für besonders zuverlässige Verbindungen mit textilintegrierten Leitern. Diese Methode kommt bei der Kontaktierung ohne das übliche Löten oder Krimpen aus.
Der Architekt Ulrich Thierling weitete zum Abschluss des Vortragstags den Blick von den technischen Details über den berühmten Tellerrand hinaus.
Die Erderwärmung zu bremsen sei die größte Herausforderung dieses Jahrhunderts. Die Baubranche verursache besonders viele Treibhausgase und verbrauche eine große Menge an Ressourcen. Die Lösung heiße „Reduziertes Bauen“: weniger Material flexibel einsetzen, es später wiederverwenden oder anderweitig verwerten. Leichtbau mit Faserbundstrukturen sei dabei die Schlüsseltechnologie, die unerschöpfliches Anwendungsfeld für intelligente Textilien biete.
Die Veranstaltung wurde von einer Ausstellung begleitet, in der die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zahlreiche smarte Produkte ausprobiert werden konnten.
Veranstaltet wird das jährliche Anwenderforum von den Deutschen Instituten für Textil- und Faserforschung Denkendorf (DITF), dem Textilforschungsinstitut Thüringen-Vogtland e.V. (TITV Greiz) und dem Forschungskuratorium Textil e. V. Kooperationspartner war in diesem Jahr Swiss Textiles.
Das nächste Anwenderforum SMART TEXTILES findet am 27./28. Februar 2024 statt.